Die im letzten Jahr entstandene Fridays-For-Future-Bewegung ist meiner Beobachtung und Reflexion gemäß zunächst eine Mittelschichtsbewegung, die jenseits der Klassen agiert. Teilnehmende sind vor allem Kinder der gehobenen Bildungsbürger-Mittelschicht, an der sich bislang kaum Schüler*innen der Arbeiterschaft beteiligen. Es sind vor allem Gymnasiast*innen. Zu beachten ist allerdings folgendes: Es ist der fortschrittlichste Teil der Mittelschicht. Sie wissen nichts davon, wie es sich anfühlt, unter einem schlechten Betriebsklima leiden zu müssen. Mir tat es als Kind sehr weh, wenn meine Mutter weinend von der Arbeit nach Hause kam, weil Ihr Chef seine schlechte Laune an ihr ausgelassen hatte und sie unbegründet verbal niedermachte und anschrie. Ich ging dann auf meine Mutter zu, umarmte und tröstete sie. Zuvor musste sie als Schneiderin viel sog. „Heimarbeit“ machen. Sie arbeitete für die Lampenindustrie und machte Lampenschirme. Außerdem hatte sie noch den gesamten Haushalt am Hals und kochte täglich für die Familie.
Den Schüler*innen ist kein Vorwurf zu machen, denn sie können ja nichts dafür, dass sie in eine Mittelschichtsfamilie hinein geboren wurden. Es wäre jedoch gut, wenn sie mal die Hauptschulen in ihrem Stadtteil aufsuchen und dort mit den Schüler*innen aus der Arbeiterschaft sprechen und sie herzlich einladen würden. Immerhin sind es die „working poor“ bzw. Armen, die am meisten unter den kapitalistischen Verhältnissen leiden und im Grunde wenig zu den CO²-Emissionen beitragen. Dies, weil sie sich z.B. gar keine Urlaubsflüge leisten können und ihr Haushalt auf „Schmalspur“ läuft, d.h.: Sie konsumieren nicht viel. Die Arbeiter*innen-Familien haben Angst, dass die Kosten der „Energiewende“ auf sie abgewälzt und sie dadurch noch mehr vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen werden. Diese Angst muss ihnen genommen werden. Das geht aber nur, wenn alle gemeinsam dafür kämpfen, dass die Reichen stärker besteuert werden, wie es die Bewegung der „Gelbwesten“ in Frankreich fordert. Um die gesellschaftliche Produktion umzugestalten, bräuchte es im Grunde das bedingungslose Grundeinkommen, damit die Arbeiter*innen nicht in Existenzkrise geraten und die gesellschaftlich Arbeitenden an Versammlungen teilnehmen können um den Umgestaltungsprozess der gesellschaftlichen Produktion aktiv mitzubestimmen. Dies ist die Voraussetzung dafür, damit die FFF-Bewegung nicht eine grüne Öko-Diktatur hervorbringt, in der die Kriege um „seltene Erden“ unter der Dominanz der IT-Giganten zunehmen und dadurch den Planeten zerstören.
Der rückschrittlich-regressive Teil der Mittelschicht dagegen wählt die AfD und gehört damit zum gesellschaftlichen Faktor der Klimaleugner. Diese werden u.a. von dem Mann, der auch mit seinen angehäuften Finanzen die Trump-Wahl und den Brexit finanzierte, Robert Mercer u.a. unterstützt. Er spendet hohe Summen an Think-Tanks, die die Klimaveränderung durch den industriellen Fortschritt bzw. das auf Kapitalproduktion beruhende ökonomische System leugnen.
Welche Aufrufe gibt es seitens der Gewerkschaften zum Klimastreik?
Da ich von Deutschland aus schreibe, werde ich also zunächst einmal die deutschen Gewerkschaften und den DGB diesbezüglich untersuchen und deren Aufrufe sowie ihr Verhalten kritisch reflektieren:
Am aktivsten sind zweifellos die Klimagewerkschafter*innen, die breit mobilisieren und das Verbot eines politischen Streiks in Deutschland kritisieren. siehe dazu: http://www.labournet.de/politik/gw/gw-in-d/gewerkschafterinnen-fuer-klimaschutz/
Ferner hat sich „Workers for Future“ gebildet. In ihre wirken „verdi-aktiv“-Kolleg*innen aktiv mit. Sie fordern einen offenen Streikaufruf für den 20.09. und sammeln Unterschriften.
Am letzten Samstag, den 14.09. gab es eine Veranstaltung von „workers for Future“ in der Berliner Humboldt-Universität zum Klimastreik. In ihr sind internationalistisch gesinnte Agenzien aktiv. Unterstützung brauchen vor allem die Arbeitenden der BVG, von denen ein Betriebsrat anwesend war. Dies vor allem, weil der öffentliche Nah- und Fernverkehr meiner Auffassung gemäß deutlich ausgebaut statt outgesourced werden muss.
Ich finde ferner, dass es höchste Zeit ist, die grauenhafte Tradition von H.C. Nipperdey hinter uns zu lassen und damit auch gegen den DGB und die reaktionäre Bürokratie und deren Funktionäre zu streiken und die Streikkasse in Arbeiter*innen-Hände zu legen! Deshalb freute ich mich über folgenden Tweet auf Twitter:
Von seiten der DGB-Gewerkschaften müssen die Solidaritätsbekundungen mit dem Streik der nicht arbeitenden Jugendlichen als als Lippenbekenntnis angesehen werden. Dies insbesondere deshalb, weil kaum an der Basis mobilisiert wird.
Die organisiert sich selbst:
Ich schreibe dies aus der Sicht als Ver.di-Mitglied, das auch das Mitgliedernetz liest. Schaue ich auf meinen Ortsbereich – verdi Berlin-Brandenburg – so ist dort bis heute, den 18.09.2019, keine einzige Veranstaltung dazu geplant, in der Aktivist*innen der FFF-Bewegung mit Kolleg*innen des öffentlichen Dienstes miteinander sprechen können und wir Ver.di-Mitglieder uns absprechen können, wie wir gemeinsam am 20.09. bis zum 27.09. am Streik in Form des zivilen Ungehorsams teilnehmen können oder ob wir tatsächlich streiken wollen. Ich frage mich gerade: Gebietet uns nicht die Vernunft, bzw. das Grundgesetz, einen Streik zur Einhaltung der Verfassung, wie sie in Artikel 2 Abs. 2: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ zu organisieren und zu machen?
Anders als bei den bürgerlichen Gewerkschaften sieht es bei der FAU (Freie Arbeiter*innen-Union) aus, die ihre Mitglieder zu einer Veranstaltung in Berlin am 28.08. „zusammentrommelte“ und auch in Dresden dazu mobilisiert.
Ein Aufruf von der ITUC zum 15. März, der auch auf den 20. September angewendet wird, ruft zu „Just Transition“ – einem sofortigen Wechsel auf erneuerbare Energieträger – auf und bedankt sich bei der Jugend.
Die Vereinigung der europäischen Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst (EPSO) rief zur Unterstützung und Teilnahme am globalen Aktionstag vom 15. März auf. Obzwar die Gewerkschaften als Klassenkampforganisationen gegründet wurden, fehlt jegliche Kritik am „BlackRock-Kapitalismus“. Statt dessen suggerieren sie einen Generationenkonflikt:
„Die jüngere Generation wird am stärksten durch zukünftige Kosten belastet, wenn die ältere Generation jetzt keine weitergehenden und sofortigen Maßnahmen ergreift und sich stärker an den Kosten beteiligt (mit Auswirkungen auf unseren Lebensstil usw.)“ (1)
Darin kommt zum Vorschein, dass die europäischen Gewerkschaftsbosse des öffentlichen Dienstes – die also Teil des kapitalistischen Staatsapparates sind – auf keinen Fall BlackRock oder Blackstone „zur Kasse bitten“ wollen, sondern deren Macht und Profite schützen. Dies, obwohl die Neoplutokratie (=die höchste Stufe des Neoliberalismus) auch den öffentlichen Dienst mit wachsender Tendenz austrocknet und damit auch für Mitgliederschwund der Gewerkschaften verantwortlich ist und sie tendenziell zerstört. Und die ältere – arbeitende – Generation darf ja keine „sofortigen Maßnahmen“ ergreifen. Die beste aller Maßnahmen wäre nun einmal ein Streik, in dem wir Zeit dafür hätten diese zu debattieren, d.h. konkrete Schritte zur Überwindung des fortschreitenden Klimawandels zu entwerfen und zu organisieren.
Für den 20.09.2019 ist seitens der EPSO kein Aufruf zu finden. Sie solidarisieren sich gegenwärtig mit den französischen Arbeitenden der Elektizitätswerke, die morgen gegen die Privatisierung des Energiesektors streiken.
Die PSI ist ebenfalls ein Gewerkschaftsbündnis des öffentlichen Dienstes und thematisiert den Klimawandel bzw. unterstützte den globalen Schüler*innenstreiktag vom 15. März, ruft aber bislang nicht zum Klimastreik am 20.09. auf. Stattdessen mobilisiert sie für einen Kongress von Ver.di am 22. September in Leipzig:

sreenshot vom 18.08.19 der über diesem screenshot verlinkten PSI-Event-Seite
Im Grunde müssten wir Arbeitenden des öffentlichen Dienstes am 22. September vor dem Kongress-Gebäude in Leipzig gegen die herrschende Gewerkschafts-Bürokratie protestieren!
Anders sieht es in Frankreich aus, wo die CGT breit für Kundgebungen am 20. und 27. September mit den Jugendlichen mobilisiert. Sie ruft allerdings dafür auch nicht zum Streik auf, sondern ist mit Streiks gegen die Rentenreform beschäftigt, womit sie schon kürzlich den gesamten öffentlichen Verkehr lahm legte. Am 24. September findet erneut ein großer Streik gegen den „Coup de Jarnac“ statt.

Generalstreiklogo der SUD
Die alternative Gewerkschaft SUD ruft zur Teilnahme am Streik auf. Die Gewerkschaft hat am 04. September 2019 dem Innenminister, wie es in Frankreich geregelt ist, einen Brief geschickt, in dem ein „préavis de grève“ mitgeteilt wird – also jene „Streikvorwarnung“, die eine solche Maßnahme entsprechend französischen Gesetzen legalisiert. Ausdrücklich wird darin unterstrichen, dass dieser „Préavis“ es den Beschäftigten im öffentlichen Dienst Frankreichs ermögliche, am 20. September für das Klima in den Streik zu treten. Der Brief der Einzelgewerkschaft ist in dem Beitrag „Mobilisons-nous pour la rentrée climatique et sociale !“ am 16. September 2019 beim Gewerkschaftsbund SUD Solidaires„
dokumentiert, worin auch noch zu weiteren Aktionen und Protesten am folgenden Tag aufgerufen und begründet wird, warum eine „convergence des luttes“, also ein Zusammenströmen der Kämpfe sowohl dringend notwendig ist, als auch davon berichtet, wie die alternativen Gewerkschaften für diesen Zusammenschluss arbeiten. In dem Beitrag ist auch der zivilgesellschaftliche Aufruf zur Klima-Aktionswoche dokumentiert, den der Gewerkschaftsbund zusammen mit zahlreichen progressiven Organisationen unterzeichnet hat. (Übersetzung bzw. Zusammenfassung dank labournet.de )
In Italien ruft die Flc Cgil (Gewerkschaft für Bildung, vergleichbar mit der GEW in Deutschland) die Lehrer*innen und Universitätsangestellten zu einer Versammlung in Rom am 25. September und zu einem Streik am 27. September auf.
Die Cobas rufen ebenfalls zum Streik in den Schulen – zusammen mit den Marginalisierten bzw Präkarisierten (privat Arbeitenden u.a. im Transport- und Verkehrswesen) – am 27. September auf, um sich der „Revolte der Jugendlichen“ anzuschließen.
Die EI (Education International) ist ein Dachverband der Lehrer*innen- und Bildungsgewerkschaften bzw. versteht sich als „Bildungsinternationale„. Auf ihrem 8. Weltkongress beschlossen sie:
„While millions of young people from across the world are taking to the streets in defence of the planet, teachers are standing with their students and supporting the fight against climate change. During the 8th EI World Congress, delegates representing over 32 million educators from over 150 countries adopted a resolution that highlights the role of education in resolving the climate crisis and defines climate change as one of the priorities of Education International for the next four years“ (2)
„Während Millionen junger Leute weltweit Aktionen in den Straßen für den Schutz des Planeten durchführen, stehen Lehrer*innen ihren Schüler*innen/Studierenden Im Kampf gegen den Klimawandel bei und unterstützen sie. Innerhalb des 8. EI-Weltkongresses, in dem Delegierte über 32 Millionen Erzieher*innen aus 150 Ländern repräsentieren, verabschiedeten sie eine Resolution, die folgende Rolle der Bildung hervorhebt: Die Klimakrise zu lösen, weshalb der Klimawandel zu den Prioritäten der EI für die nächsten vier Jahre wird.“
Besonders bemerkenswert ist das Engagement von Gewerkschafter*innen in den USA, die das „Arbeits-Netzwerk für Nachhaltigkeit“ aufgebaut haben. Sie machen Community-Organizing und stützen sich auf die in den USA verbreitete Tradition der Graswurzelbewegungen, die sich unbürokratisch organisieren. Sie rufen die Arbeiter*innen dazu auf, den Klimastreik zu unterstützen. Sie haben klar definierte Ziele (z.B. den „Green New Deal“), der die Arbeitenden besonders berücksichtigen soll. Auf Ihrer News-Seite erfährt man, dass die SEIU – die zweitgrößte Gewerkschaft der USA – den Klimastreik unterstützt und 1.000 Amazon-Arbeiter*innen auch streiken wollen. Letzteres wird auch von der Zeitschrift „Portside“ berichtet.
Einfach auf das untere gif clicken und ihr kommt direkt auf die News-Seite:

Screenshot ihres Labels
Ihre Methode enthält auch Tenden hin zu einer Arbeiter*innen-Demokratie, wie mensch an der unteren Empfehlung, der ich einen roten Punkt gab (3), ablesen kann:

Sie sind auch mit Umweltschutzorganisation und IT-Techniker*innen in Seattle vernetzt.
Von dort kam folgender schöner Tweet:
Eine sehr lesenswerte Handlungsempfehlung (Toolkit) für IT-Techniker*innen/Programmierer*innen gibt es hier.
Tatsächlich existieren Aufrufe zum digitalen Klimastreik. Z.B. von einem Mitarbeiter von wordpress. „Technies“ von google haben eine Twitter-Plattform für den Streik geschaffen. Auch Arbeitende von Microsoft sind aktiv. Ferner existiert ein Aufruf dazu im Netzwerk von „FridaysForFuture“.
Mehr zu den global interagierenden Gewerkschaftsinstitutionen und der multilateral wirkenden -bürokratie (insbesondere in Deutschland) mit Bezug zum „Klimastreik“ siehe hier: http://unionsforenergydemocracy.org/union-statements-and-actions-in-support-of-the-youth-led-calls-for-global-climate-action/
Die Gewerkschaftslinke und soziale Bewegungen mit Bezug auf den Klimastreik werden vom Labournet – durchaus internationalistisch – dokumentiert. (http://www.labournet.de/politik/gw/selbstverstaendnis/klimastreik-am-20-september-2019-oekologische-notwendigkeit-und-gewerkschaftliche-debatte-um-das-streikrecht/)
Da ich Seniorin, nicht mehr ganz gesund und trotzdem noch Aktivistin bin, kann ich nur „zeitversetzte“ updates machen. Ich finde, dass wir Arbeiter*innen am 27.09. erneut und mit vielen mehr die Straße gehen sollten! Ich werde das in das Ver.di-Netzwerk tragen und am Dienstag, den 24.09. um 14 Uhr ein Go-In in meine Gewerkschaft ver.di-Berlin-Brandenburg machen und die Gewerkschaftsfunktionäre kritisieren, dass sie nicht zum Streik aufrufen!
Ferner wünsche ich mir eine Krach-Demonstration um den DGB herum mit ganz vielen Frauen, die fordern: „Schluss mit dem Burgfrieden“, der uns Arbeitende im Dienst für die Neoplutakratie ausbeutet und den Planeten zerstört. „Schluss mit ‚lieber tot als rot‚!“
Wenden wir uns schlussendlich einem Portal zu, das sich um unser LEBEN bemüht:
In der Auseinandersetzung mit dem „Klimastreik“ ist mir bewusst geworden, wie wichtig das Labournet für uns gesellschaftlich Arbeitende ist. Deshalb möchte ich meine Leser*innen bitten, es durch eine Fördermitgliedschaft und/oder Spende zu unterstützen.
Quellen:
Zumeist gebe ich Quellen an, indem ich sie direkt verlinke. Wenn ich zitiere, dann findet sich zumeist über dem zitierten Text ein Link, der zur Quelle führt.
(1) https://www.epsu.org/article/public-service-unions-support-youth-climate-action-15-march-people-and-planet-over-profit, abgerufen am 18.09.2019
(2) https://ei-ie.org/en/detail/16345/climate-change-a-hands-on-guide-for-educators, abgerufen am 18.09.2019
(3) Es entstammt einem ihrer Organizing-Toolkits: „Climate Strike Toolkit for workers„.